IS MA WUARSCHT

Sie sind integraler Bestandteil der kulinarischen Landschaft Wiens und trotz ihrer anonymen Architektur prägende Ikonen des Stadtbildes: die Wiener Würstelstände. Innerhalb der ubiquitären Transiträume inszenieren sie sich als topografische Besonderheiten, die sich dem Lauf der Zeit vollkommen zu entziehen scheinen. Heimat Wien lud dazu ein, Würstelstände unter Berücksichtigung der architektonischen, kulturellen und sozialen Entwicklungen der letzten Jahre neu zu denken. Eine Juryauswahl der ent-standenen Arbeiten ist nun in Form der Ausstellung IS MA WUARSCHT zu sehen.

VIENNA DESIGN WEEK und Programmpartner
Heimat Wien – Agentur für Veränderung

IS MA WUARSCHT: WIENER WÜRSTELSTÄNDE NEU GEDACHT

Fr 29.09.–So 8.10.2017
Cocktail 02.10.2017 19:30 Uhr

Stefan Oláh zeigt sechsunddreißig neue Wiener Aussichten

bz/Andreas Edler:
Drei Jahre hat er daran gearbeitet, jetzt präsentierte der Fotograf Stefan Oláh seinen Bildband „Sechsunddreißig Wiener Aussichten“. Ein Streifzug durch das all- tägliche Wien.

WIEN. Stefan Oláh ist ein Fotograf der alten Schule. Wo andere mit der Digital- kamera auftauchen, stellt der 45-Jährige die Fachkamera auf – Großformat sei schließlich immer noch ein Garant für Qualität. Und die Große ist gerade noch
so klein, dass Oláh sie mit der Vespa transportieren kann.

Warum das wichtig ist? Bevor ein Bild im Kasten ist, fährt Stefan Oláh 25- bis 30-mal zum Aufnahmeort. Er ist geduldig. Schließlich müssen alle Details passen. Seine Bilder leben vom richtigen Moment. Ein Mann mit gelber Jacke blickt auf Schönbrunn. Kein Zufall. „Ich habe so lange gewartet, bis jemand mit dem richtigen Outfit ins Bild gepasst hat“, sagt Oláh. Drei Jahre lang hat der Wiedner an dem nun erschienenen Bildband gearbeitet.

Charme des Alltäglichen:

36 Wiener Aussichten sind es geworden. Detaillierte Blicke auf die Stadt, die alle auf „langjährigen Beobachtungen“ basieren. Der 45-Jährige fotografiert keine klassischen Postkartenmotive. Es ist der Charme des Alltäglichen, der Stefan Oláh fasziniert. Unter den Motiven ist das Rathaus mit dem Zirkus Roncalli davor. Auch hier habe der Fotograf auf den Zirkus gewartet. Einerseits stehe das Bild symbolisch für den politischen Zirkus. Andererseits sei der Rathausplatz fast nie leer.

Dabei ist jede Ansicht ein Schuss und ein Gegenschuss – heißt: die Ansicht auf die Aussicht von unten und die Aussicht von oben. Von oben hat man immer mehrere Aussichtspunkte im Blick – auch das ist gewollt. Ein Bildpaar zeigt das Herren- gassen Hochhaus im 1. Bezirk. „Das wurde unter der Bedingung errichtet, dass man es vom 1. Bezirk aus an keinem Punkt sehen kann“, sagt der Fotograf. Deswegen suchte er akribisch nach einem Fleck im Ersten, wo man das Hochhaus vielleicht doch sehen könnte. Und siehe da: Tritt man aus dem Portal der Kirche Am Hof und blickt noch
vor dem ersten Schritt nach draußen nach oben, erhält man die vielleicht einzige Ansicht des Turms.

Unbekannte Blicke:

Während seiner detaillierten Beobachtungen hätten sich auch andere, scheinbar unbekannte, Blicke ergeben. Oder hätten Sie gewusst, dass die Müllverbrennung in der Spittelau ganz genau in der Achse der Prater Hauptallee liegt? Eben. Um das zu sehen, muss man sich schon in den obersten Stock des Lusthauses bemühen. So wie Stefan Oláh mit seiner Fachkamera.

Zur Sache:
Der Bildband „Sechsunddreißig Wiener Aussichten“ von Stefan Oláh und Sebastian Hackenschmidt (Hrsg.) ist im Verlag Anton Pustet erschienen. Die insgesamt 72 Fotografien von berühmten und weniger berühmten Wiener Aussichtsplätzen werden mit einem Gedicht von Friederike Mayröcker eröffnet. Online sowie im Fachhandel ist das Buch mit der ISBN 978-3-7025-0866-1 erhältlich. Mehr Bücher und Werke vom Fotografen gibt es auf www.olah.at

Dank an Andreas Edler von der Wiener Bezirkszeitung! (Foto: Manfred Werner)

Von oben herab

neues deutschland schreibt über die „Sechsunddreißig Wiener Aussichten“:
… Das Konzept, neben den 36 Panorama-bildern immer auch den jeweiligen Aus-sichtspunkt fotografisch festzuhalten, ist also nicht nur von architektonischem Interesse, es hat auch einen weltanschaulichen Gehalt. …

Wo ist Wien am schönsten ?

von Helga Maria Wolf (Austria Forum):

In den 1980er Jahren kursierte ein böser Witz: „Wo ist Wien am schönsten ? “ – „Am Dach des Neuen AKH “ – „???“ – „Da sieht man es nicht !“ Eine Generation später ist das Spital mit seinen 22-stöckigen Bettentürmen nicht das einzige „Grusel- haus“ (so damals der „Spiegel“) in Wien. Noch höhere Wolkenkratzer haben die innerstädtische Skyline verändert, manche bereichernd, manche störend.

Der Kunsthistoriker und MAK-Kustos Sebastian Hackenschmidt schreibt einleit- end zu seinem neuen, gemeinsam mit dem Fotografen Stefan Oláh geschaffenen Werk, die Frage, ob Wien Wolkenkratzer brauche, sei falsch gestellt. „Vielmehr gälte es zu fragen, welche Hochhäuser Wien haben sollte, wie sie sinnvoller Weise zu platzieren wären und wie und von wem sie genutzt werden könnten. Fragen, auf die die ‚Macht des Faktischen – also die in den letzten Jahren errichtete Bausubstanz – wohl kaum die bestmögliche Antwort gibt.“ Bilder und Texte beschönigen nichts. Häufig zitiert der Autor Friedrich Achleitner, einen der wichtigsten Kritiker und Chronisten der österreichischen Architektur. Er plädiert für „höchste stadträumliche Sensibilität.“

Das Buch „Sechsunddreißig Wiener Aussichten“ basiert auf der Idee von Schuss und Gegenschuss: Gezeigt werden jeweils das Bauwerk, das einen Aussichtspunkt markiert, sowie die sich von dort bietende Perspektive auf die Stadtlandschaft. Mit dem barocken Blick haben sie nur selten zu tun. Im Barock wurden die Bauwerke, die das Schauen als Erlebnis inszenierten, „Belvedere“ oder „Bellevue“ genannt: Von hier aus ließ sich der Blick in die Landschaft vortrefflich genießen. Zugleich waren sie selbst Attraktionen, in denen sich die „schöne Aussicht“ architektonisch manifestierte. In dem Prachtband finden sich solche als „Sehenswürdigkeiten“ etablierte Aussichten – wie der jetzt wieder viel zitierte Canaletto-Blick vom Belvedere oder der Blick von der Schönbrunner Gloriette. Berühmt waren und sind auch die Ausblicke vom Stephansturm, Kahlenberg, Cobenzl, Lusthaus im Prater, Steinhof, Rathaus … Neue und neueste Perspektiven erschließen sich etwa von Aussichtswarten (Jubiläumswarte, Habsburgwarte, Paulinen- warte, oder dem schon wieder demolierten „Bahnorama“ beim Hauptbahnhof), Dach- terrassen und Restaurants (Haas-Haus, Donau-City-Tower, Justizpalast, Millenium-Tower, Sofitel, Hochhaus in der Herren- gasse, ÖBB-Zentrale, Ibis-Hotel, Haus des Meeres, Wohnpark Alt-Erlaa, Lassalle-Hof, Donauturm …) szenischen Brücken (im Stadtpark, Steinitzsteg … ) oder der Höhenstraße. Höhepunkt und Abschluss bildet die Aussicht vom Skyspace in Pötzleinsdorf. In der MAK-Außenstelle Geymüller-Schlössel hat ein Kunstwerk von James Turell seinen Aufstellungsort gefunden. Die Aussicht von „The Other Horizon“ zeigt den Himmel, „wechselweise als monochrome Bildfläche oder als Farbraum unbestimmter Tiefe.“

Dies trifft sich mit den vorange- stellten Erinnerungen von Friederike Mayröcker, die als 17-Jährige durch die Aussicht vom Leopoldsberg tief berührt war: „… dieser Blick auf die Stadt: diese Sonne, wie sie scheint und royal scheint, also oben …“ Der „Berliner Mediendarling“ („Die Zeit“) Friedrich Liechtenstein steuert den Text „Elevation“ bei, der Philosoph Walter Seitter schreibt über „Ansicht, Aussicht“. Die Kunst- und Kulturhistorikerin Sabine Lata bringt einen informativen Überblick zu „Wien in alten Ansichten“. Der Architekt und Fotohistoriker Harald R. Stühlinger erläutert einprägsam die „Topographische Fotografie in Wien.“

Jeder „Aussicht“ ist ein Text in deutscher und englischer Sprache von Sebastian Hackenschmidt vorangestellt. Dann zeigt ein stilisierter Plan die Lage des Aussichtspunktes und die Richtung des Panoramas, ehe das großartige und großformatige (Buchformat: 29 x 29 cm) Bilderpaar seine Aussagekraft entfaltet. Auf der Schauseite, nahezu formatfüllend breit die Aussicht, links, fast quadratisch und mit viel weißem Rand das Gebäude, von dem sie aufgenommen wurde. Dieser „Raum für die Gedanken“ ist nicht die einzige Assoziation zu japanischer Kunst. Sie wirkte auch inspirierend für die Titelwahl des Buches.

Um 1830 schuf Katsuhika Hokusai seine berühmten „36 Ansichten des Berges Fuji“. Drei dieser Farbholzschnitte zeigen Aussichtsplattformen, von denen das Betrachten des heiligen Berges als Ereignis inszeniert wurde. 1902 gab der franz- ösische Künstler Henri Rivière 36 Farblitho- graphien mit Ausblicken vom Eiffelturm heraus. Schon 1785 waren im Verlag Artaria kolorierte Ätzradierungen von Carl Schütz, Johann Ziegler und Laurenz Janscha als erste Folge der „36 Ansichten der Residenzstadt Wien“ erschienend. Die modernen „sechsunddreißig Wiener Ansichten“ stehen in der Tradition dieser Veduten und fügen sich würdig in die Reihe der fotografischen Bildbände des 20. und 21. Jahrhunderts ein. Es „sind die hier versammelten Aufnahmen keine subjektiven, expressiven oder künstlerisch-experimentellen Fotografien, sondern sachlich-nüchterne Bestandsaufnahmen von urbanen Situationen“, die Einblick in die politische Stadtlandschaft Wiens zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ geben

Dank an Helga Maria Wolf (Austria Forum)